DIE KATZE MIT DEM ABGEBISSENEN OHR

(Die Geschichte einer toughen Katze)

 

 

 

Es war einmal eine kleine Katze. Sie war lieb und verspielt, lernte schnell, wie man Mäuse fängt und sich in Gesellschaft von anderen Katzen benimmt, und sie hatte ein angenehmes Wesen.

 

Manche Katzen waren neidisch auf sie, weil sie so schnell alles lernte, und sie verhielten sich dann nicht besonders nett zu ihr. Katzen können ja ganz schön giftig sein, wenn sie fauchen und mit ihren Tatzen kratzen.

 

Die kleine Katze war traurig darüber, aber so war es nun einmal, dachte sie. Da sie schon früh auf sich selbst gestellt war, machte sie sich viele Gedanken um das Leben und die Welt. Sie lief oft allein im Wald umher und betrachtete alles genau.

 

Als sie wieder einmal im Unterholz umherstreifte, sah sie im Waldesboden ein Loch. Das war ein Fuchsbau. Da die Katze ein wenig einsam war, dachte sie, sie könnte sich vielleicht mit dem Fuchs anfreunden. Aber sie hatte ihn wohl gerade verpasst, er war nicht zu Hause.

 

Als die Katze ihrer Familie und einigen anderen Katzen erzählte, dass sie sich mit einem Fuchs anfreunden wollte, da sagten die Eltern, die Geschwister und die anderen Katzen: "Nun, du musst selbst wissen, was du tust. Wir würden das nicht machen. Das ist ein Risiko. So etwas machen Katzen normalerweise nicht."

 

Die kleine Katze aber hatte ihren eigenen Kopf. Sie kümmerte sich nicht darum, was normal für eine Katze war oder nicht. Sie musste selbst herausfinden, was gut und was nicht gut für sie war und selbst erleben, was passieren würde.

 

Also lief sie zurück zu dem Fuchsbau, und tatsächlich, dieses Mal war der Fuchs zu Hause. Er beschnupperte die Katze ganz fasziniert, und indem er so um sie herumstrich, rieb er ein wenig sein Fell an ihr. Das gefiel der Katze. Sie fragte: "Darf ich dich zähmen?"

 

Der Fuchs schaute der fremden kleinen Katze neugierig in die Augen und wollte das wohl, aber da war noch eine Fuchsfrau im Bau, und als diese aus ihrer Behausung hervorkroch und die Katze misstrauisch betrachtete, da überlegte es sich der Fuchs anders und verschwand mit seiner Frau wieder unter der Erde.

 

Die Katze war enttäuscht. Andererseits war der Fuchs durchaus freundlich gewesen. Und diese Erfahrung, so einem wunderschönen Fuchs zu begegnen, der sein Fell an ihr gerieben und ihr einen Moment lang in die Augen gesehen hatte, ja, diese Erfahrung würde wohl keine andere Katze so schnell machen, da die wenigsten Katzen überhaupt nach dem Fuchs gesucht hätten.

 

Die kleine Katze dachte noch oft an den Fuchs. Er blieb in ihrem Herzen, denn er hätte ein Freund werden können.

 

Eines Tages sah sie bei ihren Streifzügen durch den Wald einen wilden Hund, der aus einem der umliegenden Dörfer entlaufen war. Er trank Wasser aus einer Quelle. Ob sie sich mit diesem Hund anfreunden konnte?

 

Als die kleine Katze zu Hause ihrer Familie und einigen anderen Katzen davon erzählte, dass sie sich mit einem wilden Hund anfreunden wollte, da waren die anderen entsetzt. "Nun bist du ganz verrückt geworden! Diesen Fuchs zu besuchen, das war ja schon ungewöhnlich. Aber sich mit einem wilden Hund abzugeben? Das machen Katzen nicht! Das ist nicht normal! Das ist gefährlich!"

 

Die kleine Katze kümmerte sich aber nicht darum, was normal für eine Katze war oder nicht. Sie musste selbst herausfinden, was gut und was nicht gut für sie war und selbst erleben, was passieren würde.

 

Also lief sie zurück in den Wald zu der Quelle und tatsächlich, der Hund war immer noch dort.

 

"Darf ich dich zähmen?", fragte die kleine Katze den Hund. Der Hund betrachtete sie genau und sagte dann: "Ja, darauf habe ich nur gewartet." ... (...)

 

Ende der Leseprobe